Meeressäuger in modernen Zoos und Aquarien leben länger: Das ist das zentrale Ergebnis einer neuen Studie, für die Forscherinnen und Forscher Daten von mehr als 8.800 Individuen über einen Zeitraum von rund 200 Jahren herangezogen haben.
Die Studie zur Lebenserwartung von Meeressäugern zeigt damit Fortschritte im Tierwohl. Einer der Autoren der Studie ist Dr. Lorenzo von Fersen, Kurator für Forschung und Artenschutz im Tiergarten der Stadt Nürnberg.
Für die Studie wurden Daten von Seehunden (Phoca vitulina), Kalifornischen Seelöwen (Zalophus californianus), Großen Tümmlern (Tursiops truncatus) und Eisbären (Ursus maritimus) herangezogen.
Alle diese Tierarten werden auch in Nürnberg gehalten. Um herauszufinden, ob sich die Lebensbedingungen der Arten in menschlicher Obhut verbessert haben, werteten die Forscherinnen und Forscher Daten von 8.864 Individuen über den Zeitraum von 1829 bis 2020 aus. Mit derselben
Methodik und unter Verwendung zusätzlicher Datenquellen für Wildpopulationen untersuchten die Autoren außerdem, ob diese vier Arten in Zoos und Aquarien länger leben als ihre Artgenossen in der Wildbahn.
Die Daten stammen aus dem Zoological Information Management System (ZIMS), der weltweit größten Datenbank mit Informationen zu Wildtieren in menschlicher Obhut. ZIMS wird von der NonProfitOrganisation Species360 betrieben, die dafür Daten über Tiere in Zoos und Aquarien
verwaltet, archiviert und anderen Einrichtungen zur Verfügung stellt.
Die Studie ist die erste, die die Lebenserwartung als Indikator für das Wohlergehen von Meeressäugetieren untersucht. Sie ist unter der Leitung von Dr. Morgane Tidière, Wissenschaftlerin bei Species360 und an der University of Southern Denmark, in Zusammenarbeit mit 41 CoAutoren
aus akademischen, staatlichen und zoologischen Einrichtungen auf der ganzen Welt entstanden.
Die Ergebnisse zeigen: In zoologischen Einrichtungen ist die Lebenserwartung der vier untersuchten Meeressäugerarten innerhalb der letzten 200 Jahre um mehr als das Dreifache gestiegen. Zudem ist die Sterberate im ersten Lebensjahr der Tiere im letzten Jahrhundert um bis zu 31 Prozent zurückgegangen. Die Studie ergab auch, dass Meeressäuger in zoologischen Einrichtungen zwei bis
dreimal so alt werden wie ihre Artgenossen in der Wildbahn.
Neben der Analyse der Lebenserwartung untersuchten die Forschenden auch die Lebensqualität der vier verschiedenen Arten im Zeitverlauf. Sie konzentrierten sich auf die Gleichheit der Lebensspanne, die Auskunft darüber gibt, ob die Mitglieder einer Population im Laufe der Zeit konstant länger leben und weniger wahrscheinlich unvorhersehbaren, frühen Todesursachen zum Opfer fallen. Die Ergebnisse der Studie waren eindeutig: Bei den vier untersuchten Arten in zoologischen Einrichtungen nahm die Gleichheit der Lebensspanne im Laufe der Zeit zu. Dies lässt darauf schließen, dass diese Populationen in geschützten Umgebungen besser vor einem vorzeitigen Tod geschützt sind.
Die Lebenserwartung für die vier Arten hat sich insbesondere seit den 1990er Jahren deutlich verbessert, was vermutlich auf Fortschritte in der zoologischen Praxis zurückzuführen ist. Die Tierpflege ist heute stark auf das Wohlergehen der Tiere ausgerichtet, dazu kommen optimierte
Haltungsbedingungen, eine verbesserte Veterinärmedizin in Bezug auf Diagnostik und Therapie und eine gut kontrollierte Ernährung. Auch die freiwillige Mitarbeit der Tiere bei Behandlungen dürfte eine Rolle spielen.
Durch regelmäßige Trainingseinheiten mittels positiver Verstärkung können viele Untersuchungen und Eingriffe, wie Blutabnahmen und Ultraschalluntersuchungen, ohne Narkose durchgeführt werden. Auch der Tiergarten Nürnberg führt seit vielen Jahren dieses sogenannte medizinischen Training mit seinen Tieren durch und entwickelt die Methoden stetig weiter.
Die positiven Ergebnisse der Studie führen die Autoren auch auf die verstärkte internationale Zusammenarbeit von Zoos und Aquarien zurück, beispielsweise über Zooverbände, koordinierte Zuchtprogramme, gemeinsame Datenbanken und professionelle Netzwerke.
Hauptautorin Dr. Morgane Tidière sagt: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei der Verbesserung des Wohlergehens von Meeressäugetieren in zoologischen Einrichtungen erhebliche Fortschritte erzielt wurden. Dies ist wiederum auf die Verbesserung der Managementpraktiken in modernen Zoos und Aquarien zurückzuführen. Professionelle Zoos und Aquarien von heute können nicht mit Zoos von vor 30 Jahren verglichen werden. Diese Art von Forschung ist dank der standardisierten Daten möglich, die von den Species360-Mitgliedszoos und -aquarien auf der ganzen Welt gesammelt und ausgetauscht werden.“
„Die Studie zeigt, dass die Exsitu-Haltung, also die Haltung von Tieren außerhalb ihres natürlichen Lebensraums, ein praktikabler Ansatz ist. Die Ergebnisse sind insbesondere im Hinblick auf die vielen stark gefährdeten Arten ermutigend. Für sie könnte die Exsitu-Haltung die letzte Chance sein, ihr Aussterben zu verhindern. Wenn wir also nicht noch mehr Arten verlieren wollen, müssen wir Einrichtungen wie Zoos und Aquarien erhalten und weiterentwickeln“, sagt Dr. von Fersen, der vor kurzem für seine Verdienste rund um den Schutz aquatischer Säugetiere und seine wissenschaftlichen Leistungen vom europäischen Zooverband EAZA für sein Lebenswerk geehrt wurde.
Und er fügte hinzu: „Daneben braucht es natürlich auch Maßnahmen im natürlichen Habitat. Wir arbeiten deshalb gemeinsam mit vielen anderen Institutionen weltweit an der Entwicklung neuer Schutzstrategien und verfolgen den sogenannten One Plan Approach für einen verbesserten Artenschutz.“ Bei diesem Konzept geht es darum, Schutzmaßnahmen in der Natur (in situ) und solche außerhalb der natürlichen Umgebung (ex situ) zu kombinieren sowie lokale Interessensgruppen und Gemeinschaften einzubeziehen.
Wie wichtig internationale Netzwerke und Bemühungen im Artenschutz sind, zeigt das aktuelle Massensterben bedrohter Flussdelfine im brasilianischen Amazonasgebiet. Der Tiergarten, die ihm angegliederte Artenschutzgesellschaft Yaqu Pacha e. V. und der Verein der Tiergartenfreunde Nürnberg e. V. unterstützen mit vielen weiteren Partnern die Naturschützerinnen und Naturschützer vor Ort. Gemeinsam gehen sie den Ursachen für das Massensterben auf den Grund und versuchen, so viele Tiere wie möglich zu retten.
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